Legasthenie

Lesen: eine komplexe Tätigkeit

Lesen ist eine komplexe Tätigkeit, an der unterschiedliche Hirnfunktionen beteiligt sind. Die Störung jeder dieser Hirnfunktionen kann eine Lesestörung verursachen. Was üblicherweise als „Legasthenie“ bezeichnet wird, ist eine Zusammenfassung von Lesestörungen, die auf unterschiedliche Ursachen zurückführbar sind. So vielfältig die Ursachen einer Lesestörung sind, so vielfältig müssen auch auf diese Ursachen gerichtete Therapieverfahren sein.

Um einen Text flüssig zu lesen, müssen die Augen für genau berechnete Zeitintervalle auf eine bestimmte Stelle innerhalb eines Wortes gerichtet sein. Während dieser Zeitintervalle muss die Größe des zu lesenden Wortsegments oder Wortes bestimmt werden, das betreffende Wort oder Wortsegment muss „im Ganzen“ gesehen werden und die entsprechende Lautfolge und die Bedeutung einzelner Wörter und Wortfolgen müssen aus dem Gedächtnis abgerufen werden. Gleichzeitig muss der Zeitpunkt und das Ziel des anschließend auszuführenden Blicksprungs programmiert werden. Während des Blicksprungs müssen Sehfunktionen unterdrückt werden und sie müssen sich nach erfolgtem Blicksprung vollständig erholen.

Damit diese Funktionen fehlerfrei ablaufen können, bedarf es des komplexen Zusammenwirkens zahlreicher Gebiete des Gehirns. Zu ihnen zählen Strukturen des Sehsystems, Strukturen, die visuelle Aufmerksamkeitsleistungen steuern, Hirnstrukturen die verschiedene Gedächtnisleistungen hervorbringen und mehrerer Gebiete des Gehirns, die Augenbewegungen programmieren und ausführen. Jede dieser Strukturen des Gehirns kann in ihrer Funktion gestört sein. Das Ergebnis ist eine Lesestörung, deren Ursache jedoch nicht ohne weiteres erkennbar ist.

Diagnose

In einem Forschungsprojekt wurden Kinder mit Lesestörungen unterschiedlicher Ursache untersucht und es wurde ein PC – gestütztes Diagnose- und Therapieprogramm entwickelt. Die Software enthält sowohl Programme zur Diagnose der Ursachen der Lesestörungen als auch Programme zur gezielten therapeutischen Beseitigung oder Umgehung dieser Ursachen. So werden z.B. Buchstaben, Buchstabenverbindungen, Wortsegmente, Wörter und Texte unter solchen Testbedingungen auf dem Monitor dargestellt, dass sie die Ursache der Leseschwäche erkennen lassen und die Reaktionen der LeserInnen werden vom Computer gemessen. Die mittels eines Abspielsystems gezeigten Übungstexte sind der Art und Schwere der Lesestörung angepasst und so bearbeitet, dass die für das Lesen kritischen Parameter kontrolliert werden können. Dazu wurden attraktive Texte aus Erstlesereihen ausgewählt. Für ältere LeserInnen werden spezielle Texte entwickelt. Ein integriertes Statistikprogramm ermöglicht TherapeutInnen, LehrerInnen und Eltern die Entwicklung der Leseleistung zu verfolgen und dokumentiert jeden Lesefortschritt.

Therapie

Der Therapieteil enthält spezielle Übungen zur Verbesserung (1) der Fähigkeit zum Buchstabenerkennen, (2) der Fähigkeit zur simultanen Wahrnehmung und dem simultanen Erkennen von Buchstabensequenzen (Wörtern und Wortsegmenten) (3) zur Verbesserung des Abrufs der zu Wörtern und Wortsegmenten gehörenden Lautfolgen, (4) der Vergrößerung des Aufmerksamkeitsfeldes und der Reduktion des Störeinflusses von Textsegmenten auf das Erkennen anderer Wortsegmente oder Wörter, (5) einer Verbesserung der Kontrolle der Länge der Fixationsphasen und (6) einer Verbesserung der Größe, des Ziels und der zeitlichen Koordination der Blicksprünge während des Lesens. Das Programm wertet die Leistung der LeserInnen in den durchgeführten Tests und Übungen automatisch aus und gibt Auskunft über das jeweils erreichte Leistungsniveau.

Wirksamkeit

In einer Studie konnte nachgewiesen werden, dass im Falle bestimmter Lesestörungen, bei etwa der Hälfte der Kinder die Fehlerrate innerhalb einer halben Stunde um 72 % abnahm, wenn sie ein gezieltes Training mit Hilfe des celeco Leselernverfahrens erhielten, in dem für das Lesen kritische Parameter kontrolliert wurden. Eine Kontrollgruppe, die nur das Lesen von Texten übte, konnte ihre Leistung in der gleichen Zeit hingegen nicht verbessern (Werth 2001).

Die vielfältigen Ursachen, die eine Lesestörung (Legasthenie) hervorbringen können, die Möglichkeiten, diese durch geeignete diagnostische Mittel zu erkennen und erfolgreich erprobte Therapieverfahren werden beschrieben in:

Werth R.

Legasthenie und andere Lesestörungen

Wie man sie erkennt und behebt
Verlag C.H. Beck
München

3. Auflage 2007